Wolken kleben wie Wattebäusche am blaublauen Himmel und spenden Schatten. Der Weg führt erst flach einer Strasse entlang, dann durch Felder und Wälder, Wälder und Felder, beinahe endlos, zwischendrin das eine oder andere Kaff wie aus Pappkarton verfertigt.
Beim Gasthof angekommen, hängt da ein Zettel, dass Ruhetag am Arsch der Welt. Wenigstens ein Kasten an der Wand, wo zwei Euros in Alpisbacher gewechselt werden können. Draussen in der menschenleeren Gartenbeiz dann die Beine hochgelegt und Bier gesüffelt, dazu eine Zigarette oder zwei.
Das kaputte Wasserrad bald hinter mir, im Fenster eines Busses, um ehrlich zu sein, weil der Anstieg aus Eigenkraft doch zu mühsam erscheint. An einer verlorenen Haltestelle dann ausgestiegen und den Schofför alleine gelassen, welcher die Musik lauter dreht und in einer Abgaswolke verschwindet.
Ich wandere einem Wäldchen entlang, vorbei an halb zerfallenen Gebäuden. Büschel von Gras wachsen zwischen rissigen Bodenplatten aus Beton und überall liegen Bierdosen herum. Um einen wackligen Holztisch sind Plastikstühle gruppiert, einer davon traurig umgekippt. An der Wäscheleine zerfledderte Tücher, welche lustlos im Wind flattern, wer weiss, wie lange schon? Nach etwa einer Stunde quere ich die Schnellstrasse und wandere über stoppelige Felder hinein in den vollen Busen der Natur. Tiefblau hängt das Brokat des Himmels über mir, zu Füssen entrollen sich grün saftige Wiesen und aus ockerbrauner Erde fackeln spritzige Ährenfeuerchen wie Vulkane am ersten August. Vincent hätte ein Bild davon gepinselt, mittendrinnen Mensch im Menschsein gebeugt. Der Sonnenball steigt mühelos zum Zenit, wo er verharrt, wie mir scheint, und sinnlos Licht verschüttet. Beim kühlen Forst wische ich mit dem Handrücken Schweissperlen von der Stirn und trinke einen Schluck aus meiner gläsernen Flasche. Stamm an Stamm wachsen hölzerne Säulen bis in die Kuppel des Himmels, wo sie sich zum rauschenden Dach vereinen. Der Weg führt in Schlingen und Windungen durch einen sinnlichen Wald, welcher beäugt, aufnimmt, zuhört und sicher dahin geleitet, wo widerstrebend ich mich aus seinen Armen löse. Vor mir liegt die Ebene Geisingens, durch welche sich ein schilfbewachsener Graben beisst. Kaum mehr erkannt hätte ich sie, die stille Donau, zögerlich verschämt durch sumpfiges Bettchen kriechend, am liebsten wieder dorthin zurück, wo sie entsprungen. Ermutigend rufe ich ihr zu, dass sie einst gross sein würde, majestätisch, blaue Königin unter den Flüssen der Erde, und lasse das Unangenehme weg, klar. Den Blick in die Umgebung geworfen, fällt der vom Erzabbau vernarbte nördlichen Hügelzug ins Auge, die ausgelaugte Erde, in der nur widerwillig Pflanzen wurzeln, und eine Anzahl baufälliger Gehöfte, wo Schrott aller Art sich sammelt. Bloss Menschen sind keine zu erblicken, allenfalls fahrende Automobile, doch zählen die nicht.
Stühlingen ein langgezogenes Dorf am Eingang der Wutachschlucht. Leider keine rechten Läden und auch der Bahnhof fehlt. Ausser, dass da ein Schild auf einen leeren Fleck zeigt. Aber egal.
Mittagssonne brennt Löcher in die Atmosphäre, während ich Schritt für Schritt Höhe überwinde. Die Riemen des prallen Rucksacks drücken auf meine Schultern und beide Getränkeflaschen sind bald leere Hüllen aus Plastik. Die nächsten Tage werde ich zu Fuss unterwegs sein, mit Sack und Pack. Nach vorne blicken und losmarschieren, so lautet das Motto. Auf der Karte ist der Ostweg durch den Schwarzwald verzeichnet, ein Fernwanderweg mit einzelnen Etappen. Eigentlich braucht man bloss der schwarzroten Raute zu folgen, doch die kleinen Blechschilder sind manchmal ziemlich versteckt. Der Pfad gehört mir und nur selten höre ich in der Ferne (wie in Watte verpackt) Stimmen. Gedanken geraten in einen friedvollen Schlummerzustand und regen sich kaum. Schlafende Hunde, so kann man es auch nennen. In der Talsohle endlich wartet eine Einkehrgelegenheit. Zwei Jungs trinken hier Bier und bleiben bei sich, so, wie es sein muss. Die Wirtin stellt allen dieselben Fragen und rät davon ab, das Wasser des Flusses (eher: Bach) zu trinken. Ein älterer Stammgast, vielleicht auch der Ehemann, lacht. Er sei hier aufgewachsen und dennoch am Leben. Wir beäugen ihn zweifelnd.
Der Weg nach Achdorf gerät der brütenden Hitze wegen zum Mumifizierungsprozess. Mein Pfad schlängelt sich Felswänden entlang durch stummen Wald. Vereinzelt zirpen Vögel und im Unterholz raschelt es zuweilen. Die Zunge klebt trocken am Gaumen und ich muss aufpassen, dass ich sie nicht versehentlich schlucke. Beim Dorfeingang hustet ein rettender Brunnen. Der grüne Gartenschlauch, welcher ihn dürftig mit Wasser versorgt, verschwindet irgendwo im Gestrüpp. Ich leere mir das Nass über den glühenden Kopf und schütte es in die ausgedörrte Kehle. Wie der glorreiche Halunke Tuco, bloss keine Schiessübung im Anschluss. Oder Schnaps aus der Flasche. Auch kein Clint Eastwood der 60er, aber das weisst Du ja mittlerweile.
Nach einer Kurve erblicke ich durch zusammengekniffene Augen das Landgasthaus, welches sich wie eine mittelalterliche Trutzburg vor mir aufbaut. Über den Namen kann man sinnieren, doch ein Schild gibt Auskunft. (Welches Du selbst lesen kannst, wenn du mal dort bist.) Ich stürme den Biergarten und saufe dem Kellner das Weizen aus der Hand. Der zuckt mit keiner Wimper und nimmt noch eine Bestellung auf. Klar, Sprechen fällt mir wieder leichter. Danach beziehe ich mein Zimmer. Die Wirtin ist äusserst zackig drauf, aber mit Herz. Ich dusche und falle ins wolkenweiche Bett. Abendessen dann nehme ich am selben Platz ein, nebenan ein Paar, welches sich zofft, sobald die beiden Kinder den Tisch verlassen. Eine Art Vorhang-auf-Vorhang-zu-Spiel, leider jedoch verstehe ich nicht, worum es geht, auch wenn ich die Ohren noch so spitze. Der Mann schielt ständig rüber, also aufgepasst.
Ich warte vor dem Büro der Scheffscheffin und höre Lachen auf der anderen Seite der Türe. Weshalb mir meines allmählich vergeht.
Bevor ich den Klingelknopf drücke, ziehe ich noch ein paar Grimassen. Das gibt dem Gesicht Halt und den kann ich gebrauchen. Dann Eintreten, Hände schütteln und Platz nehmen. Der leere Stuhl steht am Ende eines ovalen Tisches. Scheffscheffin hat sich zu meiner Linken niedergelassen, die andern beiden Seite an Seite mir gerade gegenüber. Dazwischen gähnt eine Lücke von drei gedachten Stühlen. Ich bin hier, weil ich Zick statt Zack gesagt habe und mal wieder eine neue Frisur gebrauchen kann. Als erstes Scheffscheffin, wie’s mir so geht, muss ja sein, gebietet das Protokoll, und klar, alles super, Arbeit täglich Freudentaumel mit zu meisternden Herausforderungen und Elan noch und nöcher = Präludium, tralala, dann aber finito mit Hofieren. Wie im Piratenfilm, wenn Schiff längsseits aufgefahren und Kanonenluken sich knarrend öffnen, es bereits zu spät ist, Gegenwehr zwecklos und an Flucht nicht mehr zu denken. Die beiden andern sitzen zerknüllt in hippen Plastiksesseln und tanzen an Fäden, so kommts mir vor, mit Köpfen gross wie Melonen. Lunten zündeln, Kanönchen knallen, derweil Rauch Sicht totalvernebelt. Einige Kugeln fallen ins Wasser und spritzen mich nass, andere durchbrechen das Holz der Reling. Und ich werde still, so still, wie ich bloss sein kann und ziehe mich in mich zurück, das Teleskopfernrohr trotzig unter den Arm geklemmt. Die sollen mein warmes Blut nicht riechen können. Dann wirft mir die Scheffscheffin eine Karte zu, auf welcher mit roten Strichen verzeichnet ist, wo zu navigieren gestattet sei. Es sind Maulkorbgewässer. Sonst: Schluss mit Piräterlis, dann kommt der Terminator, der Böse aus dem zweiten Teil, nicht Schwarzenegger. So oder ähnlich habe ich’s in Erinnerung.
In diesen Momenten wird erstens sonnenklar, dass nicht alle Dich genauso lieben, wie Du Dich selbst. Und zweitens, dass man besser im Hocken als im Stehen uriniert.
Alleine, alleine, das passt, in mich gekehrt, im Auge der Anna, wenn Du weisst, was ich meine.
Der Seine entlang ein Eis geschleckt, St. Severin der Stille wegen und im Schatten der alten Dame eins geraucht. In Läden gestöbert da und dort, letztlich zum Centre Pompidou, der Kunstfabrik, und weite Blicke über die Metropole, welche daliegt wie angeschossen. Die Stadt rotzt aus allen Löchern, klar, es ist Samstag und Sonne zeigt sich vergnüglich, wenn auch etwas gelangweilt, wie mir scheint.
K hat die Sachen abgeholt, mehr nicht. Natürlich nicht. Ich frage ihn, ob er was trinken will, einen Kaffee oder so, doch er sagt nein. Es gibt da dieses englische Adjektiv awkward, welches sich nicht adäquat übersetzen lässt. Aber es passt. Jetzt. Genau. Auf den Punkt. Die Hände in die Gesässtaschen seiner Jeans geschoben, steht er noch ein Weilchen in der Küche, und schaut zum Fenster hinaus. Tritt ab. Ich sage mir: „Jetzt, wo der Flur leer ist, kann ich wieder atmen.“ Und höre, wie der Deckel des Kofferraums zuschnappt, und ein Motor gestartet wird.
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