Amriswil ist ein Kaff

Gestern in Amriswil und Amriswil ist ein Kaff. Was ich wegen einer Liaison von früher her weiss, aber da war ich noch grün hinter den Ohren gewesen.

Restaurant Friedhof, Amriswil
Restaurant Friedheim in Amriswil

Amriswil

Am Bahnhof lungern Abgehangene in Jeansjacken und trinken Büchsenbier. Allenthalben bremst ein Zug, worauf die Spannung ins schier Unerträgliche steigt. Spiel mir das Lied von Amriswil und ich zeig Dir meine Mundharmonika.

Stattdessen durch entleerte Strassen geschlendert, während Wind mein Haar zerzaust. Beidseits säumen herausgeputzte Riegelhäuser den Bürgersteig und weiter oben leuchtet eine Kirche. Ich suche nach Erinnerung, werde aber nicht fündig. Das bringt so gerade gar nichts. Im Schaufensterspiegel schiebt eine junge Frau ihren Kinderwagen, worauf ich stehen bleibe. Der Zigarettenrauch ist meine Sprechblase.

Kreuzlingen

Neben dem Restaurant Friedheim sind ein paar Tische aufgestellt. Drinnen ging’s nicht wegen der Pandemie. Zwei Menschen sitzen dort und ich blinzle ins Gegenlicht. Ihn habe ich eine ganze Länge nicht gesehen, was du rechnen kannst und zehn ergibt. Oder mehr. Bei ihr bin ich erst kürzlich auf Besuch gewesen: in Kreuzlingen. Kreuzlingen liegt am Bodensee und ist grau. Ich selbst war dort eine Zeit zur Schule gegangen und genauso grau gewesen. Gleich graue Maus.

Bern

Plötzlich springt ein Schatten auf den Tisch. Es ist jener der Wirtin. Sie will Wünsche von den Lippen lesen oder sonst was schwatzen. “Bier“, sage ich daher und suche mein Feuerzeug. Worauf sie abgeht, das Schattentuch im Schlepptau. Wir schauen einander in die Gesichter, ob da was geschrieben steht, doch nichts steht geschrieben. Was aber total okay oder doch nicht stört. Man kennt sich in einer Zeit, dieser aber wenig. “Was haben wir gelebt und gekleckert!“, denke ich für mich und sehe Kerzen züngelnd sich in Gläsern spiegeln. Höre Berner Blues oder Blues überhaupt. Und den Motor meines alten Audis. In Bern war ich gewesen, als der FCZ im Cupfinal die Youngboys gebodigt hatte, ein andermal habe ich eine Kollegin von früher dort getroffen, was insgesamt seltsam zerdrückt gewesen war. Oder dann noch die Sache mit Mario. In Bern scheint entweder die Sonne oder es regnet.

Und wieder Amriswil

Zu Dritt sitzen wir an der untergehenden Sonne und trinken Bier, wobei das Leben entweder ein f****** Dreckskerl oder aber die Augen verschliesst wie Jungfrau beim Onanieren. “Wie viele Augen so ein Leben wohl hat?“, frage ich mich für etwa eine Hundertstelsekunde. Die Antwort aber weiss keine oder aber sie lügt. Gerade als ich mich gemütlich zurücklehne und Balance sich einstellt, wird serviert. Erst Salat, dann Empfehlung des Hauses, was super schmeckt. Ich komme mir vor wie Lichtspieltheater. Weil Jetzt wie Jetzt + Film von gestern, wobei eines das andere überlagert. Farbe, Grauweiss, dazu Tonspur à la Unterseeboot, obwohl ich in keinem je gewesen war. Seine/ihre/meine Stimme und Rest weg. Weder Messerklappern, Kirchenläuten, noch Stühlerücken. Sogar auf dem Klo ist es still, dass ich drei Mal in die Hände klatsche, um mich mir selbst zu vergewissern. Das Leben ist ein f****** Dreckskerl und man kann drüber lachen, wenn man darf, zum Beispiel weglachen wie früher, als man es einfach weggelacht hat. Weg. Ge. Lacht. Ich jedoch mache mir keine vielen Gedanken, vielleicht auch wegen des Biers, wovon wir stets neues bestellen. Und dazu noch Grappa. Keine vielen Gedanken hiesse wenigstens einen einzigen, doch fehlt mir die Überzeugung. Ich bin lichtdurchflutet Celluloid. Doppelding aus Bild und Abbild. Spiel mir das Lied von Amriswil und es ist die Spiegelmelodie.