Hölloch II

Ich zuhinterst als Schlusslicht gesetzt, dann die beiden Turteltäubchen und Veilchenblau gleich nach dem dem Guide. An die Reihenfolge müsse man sich im Fall halten, sagt er zu uns, worauf sie die Augen verdreht, weil Polonaise weniger ihr Ding.

Ab sofort geht’s ums Überleben, sagt er, heisst wir und mehr als zweihundert Kilometer Höhle um uns. Jedenfalls wird‘s nach wenigen Schritten verdammt nochmal pechschwarz, was man sich auch bei ausgeknipster Nachttischlampe nicht annähernd vorstellen kann. Flink wie Gollum krabbelt der Guide übers nasskalte Gestein, während wir mehr froschartig hinterherhüpfen und -rutschen, durch Spalten und Gänge hinunter, weiter, weiter, immer weiter, dass ich mich dann schon mal frage, wie wir wieder nach Hause kommen. Weil eines ist klar: Eingang gleich Ausgang und vergiss das Hintertürchen, weil, gibt es nicht. Erst Reue und Sehnsucht nach Welt, egal wie trist die auch gewesen sein mochte, dann aber setzt Gewöhnung ein. Man ist ja auch bloss Mensch, und Menschen gewöhnen sich.

Unter Tags (Foto: Fredy)

Das Pärchen vor mir kriegt es hin, sich lautlos zu zoffen, was wie radiale Druckwellen durch die Finsternis presst. Veilchenblau hingegen ist total begeistert von der ganzen Plattentektonik und weint beinahe, als Gollum ihr erzählt, dass es sich bei der hölen Höhle um ein allmählich sterbendes System handle. Er, für den wir anderen schon gar nicht mehr existieren und ich mir überlege, wann der das letzte Mal durchgezählt hat. Sie aber geniesst die Zuwendung dermassen, dass mir speiübel wird. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den unterirdischen See, wo‘s dann nicht mehr weiter geht, nicht mehr tiefer hinunter, ausser eben, du tauchst.

Jusqu‘ici tout va bien“, flüstert der Mann, „Jusqu‘ici tout va bien“, und bricht spontan in schallendes Gelächter aus. Jetzt stell dir mal vor, du steckst in einem der grössten Höhlensysteme Europas, während einer Shining spielt. Ist da etwa ein Schild Ausgang? Nein. Oder: “Mr. Scottie, beam mich rauf?” Vergiss es, du weisst es genau. Veilchenblau tut, was Veilchenblau in solchen Situationen immer tut und steckt sich einen Glimmstängel zwischen die Lippen. Bietet auch der Frau einen an, die gierig danach greift. Ich hingegen summe lautlos eine Melodie von Agalloch, welche mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Die vielleicht sogar meine letzte sein wird, Himmelarsch.

Hölloch

So oder so heisst er, der Führer, weil’s einen braucht hier, wo Finsternis gähnt, und jede Menge noch dahinter schlummert. „Gott bleibt draussen“, brummelt er, „ab jetzt gibt’s bloss noch mich“.

Hölloch, beim Wärterhäuschen (Foto: Veilchenblau)

Im roten Overall schaut Veilchenblau aus wie Gina Gershon in Bound, bloss, dass sie dazu noch den schief sitzenden Helm mit Lämpchen trägt. Dann sind da noch zwei andere, sie und er, die daherkommen wie Paartherapie, heisst exaltiert vor sich auf der Hut gleich jede noch so kleine Geste total bedeutungsüberladen.

Ob in der Hölle geraucht werden darf, fragt Veilchenblau, der Guide aber merkt an, dass mit Hölle es gerade gar nichts zu tun habe, da höl nicht höll, sondern glitschig wie rutschig. „Ah!“, lässt Mann zum ersten Mal sich verlauten, während seine Begleiterin irgendwo ins Schwarze stiert, und davon gibt’s viel. Also doch Paartherapie, erstens, und zweitens kann‘s noch heiter werden.

Veilchenblau derweil zündet sich ‘ne Kippe an, und meint, dass man eben nie wisse, welche die letzte sei, was eben das Schöne und gleichzeitig Geheimnisvolle am Schloten. Worauf die Frau um eine bittet, weil so herum habe sie es noch nie betrachtet. Also brenn auch ich mir eine an, und sogar der Guide nestelt was selbst Gedrehtes aus der Tasche, während Mann sich umständlich auf den Boden hockt, und mit seiner Stirnlampe SOS spielt. Blink, Blink, Blink, und so weiter…

Harmonie

Auf die Frage, wie‘s mir geht, antworte ich…

Amsterdam, NDSM Werft (Foto: AnnA)

Oder:

Harmonisch, total harmonisch, wie alles sich fügt, Signale von aussen perfekt Selbstbild matchen, Leben mir gerade vorkommt wie warmes, nach Rosen duftendes Bad bei Kerzenschein. Welt liegt mir zu Füssen, was ich auch fasse, fast unmittelbar zu glänzen beginnt, dass zeitweise ich die Augen vor lauter Leuchten verschliesse.

Optimal in mich geschmiegt, das bin ich, nichts, was zu viel oder gar zu wenig wäre. Und wenn du mir dann gleich noch aus der Sonne trittst, kann es gerade auch so bleiben.

Ich sag auch recht nett Bittebittebitteschön.

Sonntag, 27. September 2020 / Paul Gugelmann

Paul Gugelmann in Schönenberg gleich Gugelmann-Museum, und da hast du gleich noch den Link dazu.

Gugelmann-Museum (Foto: AnnA)

Erst nach Aarau, dann der Aare entlang, wobei ich meine, dass die falsch rum fliesst. Veilchenblau versucht zu erklären, doch geht das Geografische mir am Arsch vorbei. Erkenne grad so den Uetliberg proper und auch das bloss, weil es so viele davon gibt. Hügel mit Masten, wenn du weisst, was ich meine.

Jedenfalls der Aare entlang, der schönschönen Aare und am Horizont das Gewölk Gösgens, was ausschaut wie Flaschengeist im Endstadium. Dazu schwarze Pappeln mit tausend kleinen Händchen applaudierend, sowie Hündeler, die scheel uns beäugen, worauf Veilchenblau ihre Punkallüren auspackt und jene Fersengeld geben, was mir dann peinlich ist. Manchmal vergesse ich einfach, dass es ein Vorher gegeben hat, ein Vor-uns sozusagen.

Gugelmann Museum (Foto: AnnA)

Das Museum ist in einem unscheinbaren Gebäude untergebracht, und er, der Gugelmann, wohnt gegenüber. Kann sich scheint’s nicht von seinen Werken trennen, weshalb die eine Hälfte bei ihm zu Hause steht, die andere das Museum füllt. Hatte früher bei Bally gearbeitet, Abteilung Damenschuh, und nebenher zu Hause Kunst fabriziert. Apparate, welche man aufziehen kann, oder sonst wie angetrieben werden, Maschinen, die klingen, wozu sich allerlei Figürchen oder Figuren trickreich so oder anders bewegen.

Dann aber geraten Veilchenblaus Haare blöd in eine Winde, und werden partout nicht mehr ausgespult, weil Mechanismus halt bloss in eine Richtung funktioniert. „Wie im echten Leben“, hatte der Mann gerade noch philosophiert, doch die Sache mit der Frisur war ihm zum Glück entgangen. Dabei wird hier mal echt echtes Leben serviert, vor allem, wenn du Veilchenblau und ihre Methoden ein wenig kennst. Sie danach ordentlich kleinlaut, mummelt alle paar Minuten durch die Maske, dass sie eins rauchen will. Oder jede Führung mal ein Ende haben sollte.

Gugelmann-Museum (Foto: AnnA)

Mittwoch, 17. Juli 2019

Das Gespräch

Ich warte vor dem Büro der Scheffscheffin und höre Lachen auf der anderen Seite der Türe. Weshalb mir meines allmählich vergeht.

Bevor ich den Klingelknopf drücke, ziehe ich noch ein paar Grimassen. Das gibt dem Gesicht Halt und den kann ich gebrauchen. Dann Eintreten, Hände schütteln und Platz nehmen. Der leere Stuhl steht am Ende eines ovalen Tisches. Scheffscheffin hat sich zu meiner Linken niedergelassen, die andern beiden Seite an Seite mir gerade gegenüber. Dazwischen gähnt eine Lücke von drei gedachten Stühlen. Ich bin hier, weil ich Zick statt Zack gesagt habe und mal wieder eine neue Frisur gebrauchen kann. Als erstes Scheffscheffin, wie’s mir so geht, muss ja sein, gebietet das Protokoll, und klar, alles super, Arbeit täglich Freudentaumel mit zu meisternden Herausforderungen und Elan noch und nöcher = Präludium, tralala, dann aber finito mit Hofieren. Wie im Piratenfilm, wenn Schiff längsseits aufgefahren und Kanonenluken sich knarrend öffnen, es bereits zu spät ist, Gegenwehr zwecklos und an Flucht nicht mehr zu denken. Die beiden andern sitzen zerknüllt in hippen Plastiksesseln und tanzen an Fäden, so kommts mir vor, mit Köpfen gross wie Melonen. Lunten zündeln, Kanönchen knallen, derweil Rauch Sicht totalvernebelt. Einige Kugeln fallen ins Wasser und spritzen mich nass, andere durchbrechen das Holz der Reling. Und ich werde still, so still, wie ich bloss sein kann und ziehe mich in mich zurück, das Teleskopfernrohr trotzig unter den Arm geklemmt. Die sollen mein warmes Blut nicht riechen können. Dann wirft mir die Scheffscheffin eine Karte zu, auf welcher mit roten Strichen verzeichnet ist, wo zu navigieren gestattet sei. Es sind Maulkorbgewässer. Sonst: Schluss mit Piräterlis, dann kommt der Terminator, der Böse aus dem zweiten Teil, nicht Schwarzenegger. So oder ähnlich habe ich’s in Erinnerung.

In diesen Momenten wird erstens sonnenklar, dass nicht alle Dich genauso lieben, wie Du Dich selbst. Und zweitens, dass man besser im Hocken als im Stehen uriniert.

Unknown Artist (Foto: Anna und StL)

Samstag, 6. Juli 2019 / Paris

Alleine, alleine, das passt, in mich gekehrt, im Auge der Anna, wenn Du weisst, was ich meine.

Der Seine entlang ein Eis geschleckt, St. Severin der Stille wegen und im Schatten der alten Dame eins geraucht. In Läden gestöbert da und dort, letztlich zum Centre Pompidou, der Kunstfabrik, und weite Blicke über die Metropole, welche daliegt wie angeschossen. Die Stadt rotzt aus allen Löchern, klar, es ist Samstag und Sonne zeigt sich vergnüglich, wenn auch etwas gelangweilt, wie mir scheint.

Centre Pompidou (Foto: Anna)

Mittwoch, 3. Juli 2019

K hat die Sachen abgeholt, mehr nicht. Natürlich nicht. Ich frage ihn, ob er was trinken will, einen Kaffee oder so, doch er sagt nein. Es gibt da dieses englische Adjektiv awkward, welches sich nicht adäquat übersetzen lässt. Aber es passt. Jetzt. Genau. Auf den Punkt. Die Hände in die Gesässtaschen seiner Jeans geschoben, steht er noch ein Weilchen in der Küche, und schaut zum Fenster hinaus. Tritt ab. Ich sage mir: “Jetzt, wo der Flur leer ist, kann ich wieder atmen.” Und höre, wie der Deckel des Kofferraums zuschnappt, und ein Motor gestartet wird.

Freitag, 28. Juni 2019 / Sommer

Die Stadt glüht, und Schlauchboote treiben den Fluss hinunter.

Dann hat der vom Tagi versucht, ein Spiegelei auf dem Sechseläutenplatz zu braten. Was ihm trotz 60 Grad Bodentemperatur nicht gelungen ist.

Freitag, 21. Juni 2019 / Veilchenblau

Türe geöffnet & sie direkt vor mir, Nase an Nase, da fehlt nicht viel, plus Sonne auf der Haut, die ich rieche, Sommer & Blumen. Ein kurzer oder langer Moment, wo gerade gar nix geschieht, Pausentaste, und ich partiell ionisiert, zu viel oder zu wenig da und dort, dass Nackenhaare sich aufstellen oder andersrum. Dann Küche, Stuhl, Tisch und ich, die Eistee anrührt & in Schränken krame, während sie mit Blicken wie Traktorstrahlen mich einfängt und mit dem Kompass spielt, der daliegt, noch immer. Sowie die Säcke von K mitten im Flur und das verschlossene Köfferchen mit Abziehbildern drauf, Kassetten drin, hat er gesagt, wer’s glaubt, und alles ein wenig Friedhof, weil nicht abgeholt. Gerade ich: Gänsehaut, und eine Biene, die nervös ins Zimmer schiesst, subito wendet und wieder verduftet. Dann Läuten an der Tür, schon wieder, diesmal der Pöstler, und ich, das Paket in den Händen, noch ein Weilchen auf dem Fussabtreter gestanden und Nachbarin betrachtet, wie sie Teppiche sauber klopft. Bei jedem Schlag spannt sie die Schultern und verträumtes Lächeln umspielt übertrieben geschminkte Lippen. Oben auf dem Treppenabsatz steht Veilchenblau, die mich mit Augen wie Kosmos schaut und ich bitte sie, zu bleiben, was auch immer das heissen mag. Dann nebeneinander auf dem Sofa & Geräusche, die durchs offene Fenster sich hineinstehlen wie Diebe aus Gummi, doch total OK, die Situation, Atem im Atem und Worte wie Comicsprechblasen, rote, blaue, grüne, die aufsteigen und an der getünchten Decke klebenbleiben.

N: Arbeit aus Ton 2014 (Foto: Anna)

Dienstag, 18. Juni 2019

Alles nicht ganz einfach, aber ich muss hart bleiben. Gestern bei Läderach eine Schachtel Pralinen gekauft, und noch auf dem Nachhauseweg leergefressen. Später dann versucht, den Sternenhimmel zu beschreiben, doch der ist mir hinter die Wolken entwischt.

Sonntag, 16. Juni 2019 / Abschied

Heute ist der Tag, an dem ich K. reinen Wein eingeschenke. Aus dem Nichts heraus. Zwischen Aufstehen und Morgenkaffee übermannt es mich wortwörtlich. Danach packt er sein Köfferchen, und stolziert davon, im Auge glitzernde Perlen von Trauer oder Wut. An meinen kommunikativen Fähigkeiten muss ich noch arbeiten, klar. Sogar eine seiner Action Figuren habe ich an die Wand geschmissen. Dass die danach nix mehr taugen, weiss ich jetzt auch.

Freitag, 14. Juni 2019 / Frauenstreik

Ich sollte auf die Strasse gehen und mich wenigstens solidarisch zeigen. Ich sollte streiken wie alle andern. Doch heute habe ich frei und es wäre beinahe gearbeitet, wenn ich streiken würde. Vielleicht muss ich auch mal mein Verhältnis zur Menschheit offenlegen, weil da spielt Geschlecht eine untergeordnete Rolle.

Maske (Foto: Anna)

Sonntag, 9. Juni 2019

Bereits wieder am Bahnhof. Menschen mit zerfledderten Shirts kreuzen solche mit frisch geplätteten. Liebe ist für alle da und Herz brennt. K. wirkt gequält und hat dunkle Ringe unter den Augen. Achterbahn im Hotelbett, wie’s scheint, und Till hielte sich den Bauch vor Lachen. Das Frühstücksbuffet verlässt er recht spontan, und hätte beinahe auf meinen Speck gekotzt. In solchen Momenten könnte ich heulen. Meinerseits die Hose gelockert, und fleissig das Bäuchlein eingezogen. Auch so gehts.

München (Foto: K.)