Draussen flockts und Babs schwafelt non Stopp Franco hier und da.
Nicht du-weisst-schon-Franco, der ist eiskalte Vergangenheit, sondern gestern-erst-kennengelernt-Franco mit Augen wie azurblaue Ewigkeit. Wo jede weiss, dass Unendlichkeit hintenraus schwärzer als Rektum finsterstes Schwarz.
Wir lichten Anker und verduften dann mal. Die netten Nachbarn winken uns hinterher, bis bräunlich-gelbe Staubwolke sich zwischen uns legt.
Pitigliano
Seit der Autobahngeschichte hat Babs den Glanz in den Augen. Und nach Grosseto biegen in Richtung Apennin ab, worauf Strassen sowohl schmaler als auch kurviger werden.
A Naartjie In Our Sosatie heisst eine Platte aus den 80ern, welche ich mir damals gekauft habe und heuer digital wiederentdecke. Damit können jedenfalls alle leben.
An einer Ausfahrt mit Postkartenblick werden wir zugeparkt, danach tropft Charme wie Blut von meinen Lefzen. Dafür haben diverse Piloten ihre Vehikel tadellos an den Rand der Schlucht bewegt um Korridor zu schaffen. Für mich notabene.
Unser Haus heisst La Casa Del Ghetto (bloss falls du mal hin willst) und liegt gleich neben der alten Synagoge. Veilchenblau wirft erst mal Ofen an und haut sich aufs Ohr. Später versuchen wir vergeblich, das Teil nachzujustieren, Stichwort Niedergaren.
Ein Spaziergang ausserhalb führt durch in Tuff geschlagene Hohlwege. Links und rechts gähnen Grotten, wo vor mehr als 2000 Jahren Tote gelagert worden waren. Jedenfalls erzähle ich das so, heuer aber siehst du Betten darin plus schimmelige Überbleibsel ebensolcher Partys.
Am Ulmenbrunnen rasten wir und kehren auf demselben Pfad wieder zurück.
Tags darauf Sorano
Der Weg nach Sorano sei zu Fuss am Schönsten, versichere ich unentwegt, während wir draussen vor der Synagoge hocken und uns von der schwächlichen Sonne bescheinen lassen. Babs wäre zwar lieber ein wenig durch die Stadt geschlendert, wohlweislich aber kneift sie ihre Lippen aufeinander. Die Franco-Geschichte hängt ihr schwer in Magen oder auch Uterus und aufgehende Sonne ersäuft geradewegs in ihren melancholischen Blinkern.
Unterwegs beflügelt mich die Sache mit dem Historischen, dass ich mir vorkomme wie junger Cerberus. Oder sonst so: Hund. Schritt auf Tritt Vergangenheit verschafft mir das erhebende Gefühl zugehöriger Weite. Am sehnlichsten aber wünsche ich mir ein Wurmloch, wo ich reinpasse. Veilchenblau aber meint, dass dies längst schon geschehen sei.
In Sorano gibt’s Prosecco und knusprige Pizza mit Käse wie klimaerwärmte Gletscher. Eine Frau in schwarzen Leggins mustert uns bedrohlich. Vielleicht so ein Revierdings?
Später betrachten wir kopfüber-Fledermaus im Kegel meiner Taschenlampe plus jede Menge Höhlengräber noch dazu. In manche krieche ich hinein und hock auf die Bettstatt aus Lavagestein. Wie samtene Engelsflügel umgibt mich Stille. Es riecht modrig.
Abends essen wir extravagant in mehreren Gängen, derweil am Nebentisch ein Paar diniert, das sich nicht traut.
Franco
Tags darauf steht Franco vor der Tür, während aufgedonnerte Babs halbherzig Überraschung mimt. Veilchenblau jagt blaue Blitze durch die Gegend, dass Darth Vader zum Sandkastenbub mutiert. Ich steh mal wieder dazwischen und vermittle. Morgen gehts nach Hause, soviel ist klar. Und heute ist heute.
Am andern Tag sitzen wir zu Dritt im Bus und Waldgeflüster klingt an. Dahoam heisst die Scheibe und passt irgendwie. Jedenfalls: Löffel wäre stolz auf mich.
Wir haben den Van gemietet und düsen nach Italien. Sie hat’s mit dem Meer, ich hingegen will Gräber sehen.
Und Babs, die wiedermal Krise schiebt, sitzt hinten drin. Agricult? Kommt später.
Milano
Autobahn, Gotthard, Autobahn, dann Zoll, der keiner ist, sondern eher so Kasperlbude mit Männchen drin. Kurz vor Milano fahren wir raus und steigen im Just-Hotel ab. Vier Sterne mit Blick auf ebensoviele Autobahnkringel, dafür aber leicht zu finden. An den Wänden hängen Gemälde von Berühmtheiten wie Marilyn, Gianna, Laura et cetera & rauchen darfst du auf einer Art Balkon. Unten auf dem Carpark prüfen krumme Männer mittleren Alters Rennräder, ich aber sag: Velo.
Babs sitzt in der Lounge und süffelt Martini.
Am andern Tag tauschen wir Rollen. Veilchenblau hupt sich durch Mailands Dunst, derweil ich DJaine spiele. Gelegentlich halten wir an einem Autogrill um 2 zu rauchen plus wegen dem Kaffee. Solcherart geht Babs verloren, die gerade noch friedlich hinten geschlummert hatte. Als sie dann anruft, spielt Non Serviam ab Bandcamp-Account und der Klingelton schreckt uns auf. Letztlich kutschiert einer mit Fiat sie zur nächsten Ausfahrt, wo wir warten und Ende gut. Währenddessen aber haben die beiden Nummern getauscht und Franco fährt noch ein Weilchen hinter uns her. O sole mio!
Agricult
Maremma bezeichnet eine Art halbwegs gezähmter Sumpf. Längs des toskanischen Küstenstrichs verläuft Autobahn, links und rechts paaren sich Mücken. Der Ort, wo wir Stellung beziehen, heisst Vento Etrusco, denn es bläst mit Vehemenz. Man entschuldigt sich dafür und leiht uns drei Bikes, womit wir Richtung Strand klappern.
Das Meer?
Kühl. Endlos. Wunderbar. Dazu noch Sonnenuntergang à la Beltracchi. Trotz fast Null Promille wird Babs endlos romantisch und will mit uns ins Wasser, womöglich Hand in Hand. So aber läuft das nicht. Worauf sie wie blöd ins Gerät textet und Panoramaaufnahmen macht. Später finden wir eine Beiz.
Tag Drei
Heute die Idee einer Biketour oder einfach mal Einkaufen. Cappuccino drüben im Kaff plus COOP. Am Strand schaufeln wir Löcher und klauen dem Fischer seine Sitzgelegenheit. Und in einer Bar treffen wir 1000 miesepetrige Schweizer. Als wir die Flucht ergreifen, bemerkt Veilchenblau, dass ihr Pneu Platten hat.
Morgen geht’s ins Hinterland zu den Etruskern. Wegen der Gräber, mal ehrlich.
K sei ausgewandert, heisst es, was ich mir kaum vorstellen kann und Radieschen plappert, dass sie sich ernsthaft auf ein Leben ohne Trump vorbereite. Dann kauft sie Zürich Paradeplatz und Löffel zählt vorsichtshalber mal Scheine.
„Kann mir nicht vorstellen, dass K ausgewandert sein soll“, wende ich ein, worauf Radieschen mich mit ihrem Du bist ja hier nicht etwa die Expertin-Blick bedient. Babs (die aus dem Hölloch) fummelt an ihrem Handy rum, und fragt, was K denn für einer sei. „K wie Karl“, antwortet Löffel schliesslich und blickt Rieeeeesenbögen (um mich rum). Wobei ich sowieso grad Knastpause feier, also auch egal.
„Versuchs doch mal mit Erdogan“, rät Veilchenblau Radieschen, die gerade schmucke Häuser in eine nette Reihe bringt. Derweil Babs einmal mehr über den Rand hinaus würfelt. „Vielleicht sollte ich diesen Karl mal kennenlernen?“, fragt sie von unter dem Tisch, worauf Löffel lacht. Jede weiss, dass es zwischen den beiden nicht lange gut gegangen war. Fragestellung: Was wäre, wenn Lennon noch lebte, doch wissen wir es bis heute nicht. Und wird auch nimmer. K war mal Mitbewohner gewesen, dann aber habe ich Veilchenblau kennengelernt und mich noch dazu. Ende der Geschichte.
Babs heimst gerade ein Vermögen ein und ich frage mich, ob sie dem Glück nicht ein wenig zu sehr auf die Sprünge hilft. Auch Veilchenblau verdreht vielsagend die Augen, was jedoch nicht zählt, weil sie wie immer bloss zuschaut. Kann nicht verlieren, weswegen sie einfach mal behauptet, dass Kapitalistenspiele Scheisse sind. Um zu Explizieren, knallt sie dann zum Beispiel irgendwelche Minor Threat-Scheiben auf den Plattenteller.
„Der ist ja eben ausgewandert“, wiederholt Löffel, den im Übrigen die Schuldenlast drückt. (Obwohl Radieschen ihm ab und zu was zusteckt.) Nimmt mich persönlich wunder, wo er diese Emigrantengeschichte herhat, weil K ja nicht etwa der abenteuerliche Typ. Wahrscheinlich aber weiss er’s von Neuhufer, dem Schnüffler.
Als dann sogar Babs die blaue Rechnung nicht mehr bezahlen kann, ist fertig lustig. Ich verdufte schleunigst aufs Klo, wo dieses Hirschposter von Agalloch hängt und höre durch die verschlossene Türe, wie I am von Bölzer anklingt. Auch gut.
Dann haut unser Guide dem Mann eine runter, dass dem sein Lachen schlagartig vergeht, wortwörtlich, wobei auch das Stirnlämpchen den Geist aufgibt.
„Höhlenkoller kann schon mal vorkommen“, murmelt der Führer und nestelt in seiner Wachstasche nach einem Ersatzlicht. So sieht dann also Deeskalation aus, denke ich und bin mal gespannt, wie’s weitergeht. Aber nichts geht weiter, rein gar nichts, ausser, dass es von der Decke seicht. Decke? Ein ausgewachsener Berg. Endlich die Frau: „Jusqu‘ici tout va bien, jusqu‘ici tout va bien“, worauf ich mich beinah nass mache vor Lachen. Nicht, weil es die Geschichte von dem ist, der aus dem 40. Stock eines Hochhauses springt, sondern gerade andersrum.
Mehr gibt‘s eigentlich nicht zu erzählen, kannst dir ja selbst was vorstellen. Die Frau haben wir bei uns auf die Rückbank gepackt, weil alles andere wär brutal gewesen und unterwegs halten wir an, um bei Salvi & Gino eine Pizza zu essen, was entspannt, oder sonst halt der Chianti. Nachts fahr ich ja nie, wegen der Augen, und Veilchenblau hält sich generell eher zurück mit Alkohol (was seine Gründe hat). Die Frau hingegen mag Grappa und am Ende stellt sich heraus, dass auch sie Radieschen kennt. Radieschen? Na, Radieschen und Löffel, die du meist an Konzerten triffst oder sonst, wo‘s laut wird. Wenn nicht gerade Corona, auch klar.
Ich zuhinterst als Schlusslicht gesetzt, dann die beiden Turteltäubchen und Veilchenblau gleich nach dem dem Guide. An die Reihenfolge müsse man sich im Fall halten, sagt er zu uns, worauf sie die Augen verdreht, weil Polonaise weniger ihr Ding.
Ab sofort geht’s ums Überleben, sagt er, heisst wir und mehr als zweihundert Kilometer Höhle um uns. Jedenfalls wird‘s nach wenigen Schritten verdammt nochmal pechschwarz, was man sich auch bei ausgeknipster Nachttischlampe nicht annähernd vorstellen kann. Flink wie Gollum krabbelt der Guide übers nasskalte Gestein, während wir mehr froschartig hinterherhüpfen und -rutschen, durch Spalten und Gänge hinunter, weiter, weiter, immer weiter, dass ich mich dann schon mal frage, wie wir wieder nach Hause kommen. Weil eines ist klar: Eingang gleich Ausgang und vergiss das Hintertürchen, weil, gibt es nicht. Erst Reue und Sehnsucht nach Welt, egal wie trist die auch gewesen sein mochte, dann aber setzt Gewöhnung ein. Man ist ja auch bloss Mensch, und Menschen gewöhnen sich.
Das Pärchen vor mir kriegt es hin, sich lautlos zu zoffen, was wie radiale Druckwellen durch die Finsternis presst. Veilchenblau hingegen ist total begeistert von der ganzen Plattentektonik und weint beinahe, als Gollum ihr erzählt, dass es sich bei der hölen Höhle um ein allmählich sterbendes System handle. Er, für den wir anderen schon gar nicht mehr existieren und ich mir überlege, wann der das letzte Mal durchgezählt hat. Sie aber geniesst die Zuwendung dermassen, dass mir speiübel wird. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den unterirdischen See, wo‘s dann nicht mehr weiter geht, nicht mehr tiefer hinunter, ausser eben, du tauchst.
„Jusqu‘ici tout va bien“, flüstert der Mann, „Jusqu‘ici tout va bien“, und bricht spontan in schallendes Gelächter aus. Jetzt stell dir mal vor, du steckst in einem der grössten Höhlensysteme Europas, während einer Shining spielt. Ist da etwa ein Schild Ausgang? Nein. Oder: „Mr. Scottie, beam mich rauf?“ Vergiss es, du weisst es genau. Veilchenblau tut, was Veilchenblau in solchen Situationen immer tut und steckt sich einen Glimmstängel zwischen die Lippen. Bietet auch der Frau einen an, die gierig danach greift. Ich hingegen summe lautlos eine Melodie von Agalloch, welche mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Die vielleicht sogar meine letzte sein wird, Himmelarsch.
So oder so heisst er, der Führer, weil’s einen braucht hier, wo Finsternis gähnt, und jede Menge noch dahinter schlummert. „Gott bleibt draussen“, brummelt er, „ab jetzt gibt’s bloss noch mich“.
Im roten Overall schaut Veilchenblau aus wie Gina Gershon in Bound, bloss, dass sie dazu noch den schief sitzenden Helm mit Lämpchen trägt. Dann sind da noch zwei andere, sie und er, die daherkommen wie Paartherapie, heisst exaltiert vor sich auf der Hut gleich jede noch so kleine Geste total bedeutungsüberladen.
Ob in der Hölle geraucht werden darf, fragt Veilchenblau, der Guide aber merkt an, dass mit Hölle es gerade gar nichts zu tun habe, da höl nicht höll, sondern glitschig wie rutschig. „Ah!“, lässt Mann zum ersten Mal sich verlauten, während seine Begleiterin irgendwo ins Schwarze stiert, und davon gibt’s viel. Also doch Paartherapie, erstens, und zweitens kann‘s noch heiter werden.
Veilchenblau derweil zündet sich ’ne Kippe an, und meint, dass man eben nie wisse, welche die letzte sei, was eben das Schöne und gleichzeitig Geheimnisvolle am Schloten. Worauf die Frau um eine bittet, weil so herum habe sie es noch nie betrachtet. Also brenn auch ich mir eine an, und sogar der Guide nestelt was selbst Gedrehtes aus der Tasche, während Mann sich umständlich auf den Boden hockt, und mit seiner Stirnlampe SOS spielt. Blink, Blink, Blink, und so weiter…
Teile diesen Beitrag
Auch diese Website nutzt Cookies. Wenn du die Website weiter nutzt, gehe ich von Deinem Einverständnis aus.OKNein