Bienen

S12, weil’s anders nicht ging plus Summen im Kopf, das immer grösser wird. Ein Bienenschwarm, der alsbald ausser mich gerät, zudem Stettbach, wo die andere noch zusteigt.

Graffiti in der Innenstadt (Foto: AnnA)

Nettes Kleidchen, nette Schuhe, nette Frisur, sogar ihr Lächeln ist nett, den Kopf jedoch trägt sie voller Insekten, genauso wie ich. Welche nun ihre oder meine sind, frag ich mich, ob Aussortieren überhaupt noch gelingen mag? Weil, dass die den rechten Kopf finden, kannst du eigentlich vergessen.

Während wir uns schweigend in die Augen blinzeln, heisst es „Stadelhofen“ und Zug beginnt zu bremsen. Was, wenn sie mich verliesse, mir die Bienen stähle, oder ihre vergässe? Und ich für den Rest meiner Lebenszeit mit Summen geschlagen, welches mir nicht gehört, sondern einer anderen, die bloss zu- und wieder abgestiegen war?

Was dann?

Worauf ich sie an den Händen greife und nicht losslass, so sehr sie sich auch wehrt. Hand in Hand, Front an Front, was schön sein kann, prickelnd, es aber ganz und gar nicht ist.

Und Ende der Geschichte? Hab bis heute festgehalten, denn zusammen sind wir Eins und bleiben Eins, das kannst du so oder so sehen.

Schnee

Erst Morgenessen. Dann Piste. Weiss in Weiss. Und ein paar Pfähle. Um uns den Weg zu weisen.

Foto: Veilchenblau

Am Skilift dann einer, der meint, ich soll mir die Maske hochziehen und Veilchenblau, die dem Frieden zuliebe gerade noch die Klappe hält.

Kein Alkohol am Take-Away wegen der Verletzungsgefahr oder dass man sonst wie überschwänglich gerät.

Proxima Fermada

Foto: AnnA

Durch die Fenster des Zugs werden Bletzen geworfen und wie Leintücher über den Schnee geschliffen. Veilchenblau liest oder schläft, sonst befindet sich keine Seele im Abteil. Es ist leer. Die Reise will kein Ende nehmen. Und immer wieder:

Proxima Fermada,

Proxima Fermada.

Screen II

Screen (Foto: AnnA)

Dann bin ich hineingestiegen in den Screen, einfach so, weil es mich eine gute Idee dünkte, und es hat nicht mal weh getan. Im Gegenteil. Erst Kribbeln, dann Wohlgefühl pur, wie etwa danach, du weisst schon wonach.

Dort hinter dem Screen ist vor dem Screen, stelle ich fest, weil ich dich erblicke, die zu mir hineinglotzt, Kaffeetasse in der einen Hand, Zigarette in der anderen. Bloss hören tu ich nichts, sehe lediglich Lippen sich bewegen und Augen rollen, wie du sie immer rollst, wenn du was nicht verstehst.

Die Sache mit Mario

Wer die Idee gehabt hatte? Keine Ahnung. Sie vielleicht. Oder auch ich. Und der Coach nennt sich Mario (Name von der Redaktion geändert, du weisst schon).

Bern (Foto: AnnA)

Mario ist ein versteckter Macho, kein Zweifel, da brauch ich Veilchenblau nicht erst anzuschauen. Die andern beiden kennen sich erst seit Lockdown und wollen diesmal alles richtig machen. Mittvierziger mit Einwegticket nach Patchwork, etwa so sieht das aus. Wenn die dann noch Kinder kriegen, gibt‘s Nachnamensalat.

Mario chauffiert uns in Sessel, wo du erst nicht rein kommst und raus erst recht nicht. Während Veilchenblau sich durch ihre Kaugummibatterie frisst, schweife ich ab. Kommt mir gerade alles vor wie Sonstwo und Sonstwo ist schön. Er blättert seinen Foliensatz durch und hält Vortrag. Dann die Sache mit den Gesprächen. Wobei Veilchenblau mich à la Biopraktikum studiert: DiStanZiert. Zudem repetiert sie penetrant, was ich von mir gebe. Wort. Für. Wort. Lässt sich nicht beirren. BiTerErnst. Und Mario? Feuert sie noch an. „Gut so“, sagt er andauernd und blinzelt ihr anerennend zu. Meinerseits wird’s mulmig zumute. Plötzlich hat alles mit mir zu tun. Meinen Gefühlen etwa.

Am Abend gehen wir dinieren, und unterhalten uns. Trinken Bier. Auf dem Nachhauseweg die Sinnfrage. Am andern Morgen braucht‘s Aspirin und Ausschlafen wär dann auch nicht schlecht gewesen.

Veilchenblau

Berlin (Foto: AnnA)

Und Veilchenblau? Veilchenblau ist eine andere Geschichte. Wie Sex Pistols im Karnickelkostüm. Das sprengt den Bau, etwa so gedacht.

Was so durch den Kopf geht

Foto: AnnA

Erstens, das Rauchen

Aufgestanden, geduscht, dann Nikotinpflaster aufgeklebt. Direkt über der Brust sei unsexy, moniert Veilchenblau und steckt sich eine an. Am Bahnhof dann tu ich dasselbe, anschliessend schmeiss ich das gekaufte Päckli in den Mülleimer. Einer schaut mich fragend an, schüttelt den Kopf. Minus acht Franken, und schon bereu ich‘s.

Zweitens, der Mandalorianer

This is the Way. So oder so. Niedliche Babys retten. Drachen sprengen. Es muss nicht immer alles so verdammt kompliziert sein, das kannst du daraus lernen. Hauptsache Rüstung und, dass man dein Gesicht nicht sieht.

Drittens, die Wahl

Alle vier Jahre mal. Dazwischen ist davor und davor wiederum dasselbe. Heisst Auswahlen, weil wählen geht anders. Aber wie denn? Veilchenblau jedenfalls meint, dass sie kurz davor stehe, Monarchistin zu werden. Ist mir aber egal, solange nicht Monarchin. Wäre schlecht für‘s Gleichgewicht. Unser Gleichgewicht. Übrigens, gestern noch hat sie Anarchie gepredigt.

Hölloch III

Dann haut unser Guide dem Mann eine runter, dass dem sein Lachen schlagartig vergeht, wortwörtlich, wobei auch das Stirnlämpchen den Geist aufgibt.

“Höhlenkoller kann schon mal vorkommen”, murmelt der Führer und nestelt in seiner Wachstasche nach einem Ersatzlicht. So sieht dann also Deeskalation aus, denke ich und bin mal gespannt, wie’s weitergeht. Aber nichts geht weiter, rein gar nichts, ausser, dass es von der Decke seicht. Decke? Ein ausgewachsener Berg. Endlich die Frau: „Jusqu‘ici tout va bien, jusqu‘ici tout va bien“, worauf ich mich beinah nass mache vor Lachen. Nicht, weil es die Geschichte von dem ist, der aus dem 40. Stock eines Hochhauses springt, sondern gerade andersrum.

Foto: AnnA

Mehr gibt‘s eigentlich nicht zu erzählen, kannst dir ja selbst was vorstellen. Die Frau haben wir bei uns auf die Rückbank gepackt, weil alles andere wär brutal gewesen und unterwegs halten wir an, um bei Salvi & Gino eine Pizza zu essen, was entspannt, oder sonst halt der Chianti. Nachts fahr ich ja nie, wegen der Augen, und Veilchenblau hält sich generell eher zurück mit Alkohol (was seine Gründe hat). Die Frau hingegen mag Grappa und am Ende stellt sich heraus, dass auch sie Radieschen kennt. Radieschen? Na, Radieschen und Löffel, die du meist an Konzerten triffst oder sonst, wo‘s laut wird. Wenn nicht gerade Corona, auch klar.

Hölloch II

Ich zuhinterst als Schlusslicht gesetzt, dann die beiden Turteltäubchen und Veilchenblau gleich nach dem dem Guide. An die Reihenfolge müsse man sich im Fall halten, sagt er zu uns, worauf sie die Augen verdreht, weil Polonaise weniger ihr Ding.

Ab sofort geht’s ums Überleben, sagt er, heisst wir und mehr als zweihundert Kilometer Höhle um uns. Jedenfalls wird‘s nach wenigen Schritten verdammt nochmal pechschwarz, was man sich auch bei ausgeknipster Nachttischlampe nicht annähernd vorstellen kann. Flink wie Gollum krabbelt der Guide übers nasskalte Gestein, während wir mehr froschartig hinterherhüpfen und -rutschen, durch Spalten und Gänge hinunter, weiter, weiter, immer weiter, dass ich mich dann schon mal frage, wie wir wieder nach Hause kommen. Weil eines ist klar: Eingang gleich Ausgang und vergiss das Hintertürchen, weil, gibt es nicht. Erst Reue und Sehnsucht nach Welt, egal wie trist die auch gewesen sein mochte, dann aber setzt Gewöhnung ein. Man ist ja auch bloss Mensch, und Menschen gewöhnen sich.

Unter Tags (Foto: Fredy)

Das Pärchen vor mir kriegt es hin, sich lautlos zu zoffen, was wie radiale Druckwellen durch die Finsternis presst. Veilchenblau hingegen ist total begeistert von der ganzen Plattentektonik und weint beinahe, als Gollum ihr erzählt, dass es sich bei der hölen Höhle um ein allmählich sterbendes System handle. Er, für den wir anderen schon gar nicht mehr existieren und ich mir überlege, wann der das letzte Mal durchgezählt hat. Sie aber geniesst die Zuwendung dermassen, dass mir speiübel wird. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den unterirdischen See, wo‘s dann nicht mehr weiter geht, nicht mehr tiefer hinunter, ausser eben, du tauchst.

Jusqu‘ici tout va bien“, flüstert der Mann, „Jusqu‘ici tout va bien“, und bricht spontan in schallendes Gelächter aus. Jetzt stell dir mal vor, du steckst in einem der grössten Höhlensysteme Europas, während einer Shining spielt. Ist da etwa ein Schild Ausgang? Nein. Oder: “Mr. Scottie, beam mich rauf?” Vergiss es, du weisst es genau. Veilchenblau tut, was Veilchenblau in solchen Situationen immer tut und steckt sich einen Glimmstängel zwischen die Lippen. Bietet auch der Frau einen an, die gierig danach greift. Ich hingegen summe lautlos eine Melodie von Agalloch, welche mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Die vielleicht sogar meine letzte sein wird, Himmelarsch.

Hölloch

So oder so heisst er, der Führer, weil’s einen braucht hier, wo Finsternis gähnt, und jede Menge noch dahinter schlummert. „Gott bleibt draussen“, brummelt er, „ab jetzt gibt’s bloss noch mich“.

Hölloch, beim Wärterhäuschen (Foto: Veilchenblau)

Im roten Overall schaut Veilchenblau aus wie Gina Gershon in Bound, bloss, dass sie dazu noch den schief sitzenden Helm mit Lämpchen trägt. Dann sind da noch zwei andere, sie und er, die daherkommen wie Paartherapie, heisst exaltiert vor sich auf der Hut gleich jede noch so kleine Geste total bedeutungsüberladen.

Ob in der Hölle geraucht werden darf, fragt Veilchenblau, der Guide aber merkt an, dass mit Hölle es gerade gar nichts zu tun habe, da höl nicht höll, sondern glitschig wie rutschig. „Ah!“, lässt Mann zum ersten Mal sich verlauten, während seine Begleiterin irgendwo ins Schwarze stiert, und davon gibt’s viel. Also doch Paartherapie, erstens, und zweitens kann‘s noch heiter werden.

Veilchenblau derweil zündet sich ‘ne Kippe an, und meint, dass man eben nie wisse, welche die letzte sei, was eben das Schöne und gleichzeitig Geheimnisvolle am Schloten. Worauf die Frau um eine bittet, weil so herum habe sie es noch nie betrachtet. Also brenn auch ich mir eine an, und sogar der Guide nestelt was selbst Gedrehtes aus der Tasche, während Mann sich umständlich auf den Boden hockt, und mit seiner Stirnlampe SOS spielt. Blink, Blink, Blink, und so weiter…

Sonntag, 27. September 2020 / Paul Gugelmann

Paul Gugelmann in Schönenberg gleich Gugelmann-Museum, und da hast du gleich noch den Link dazu.

Gugelmann-Museum (Foto: AnnA)

Erst nach Aarau, dann der Aare entlang, wobei ich meine, dass die falsch rum fliesst. Veilchenblau versucht zu erklären, doch geht das Geografische mir am Arsch vorbei. Erkenne grad so den Uetliberg proper und auch das bloss, weil es so viele davon gibt. Hügel mit Masten, wenn du weisst, was ich meine.

Jedenfalls der Aare entlang, der schönschönen Aare und am Horizont das Gewölk Gösgens, was ausschaut wie Flaschengeist im Endstadium. Dazu schwarze Pappeln mit tausend kleinen Händchen applaudierend, sowie Hündeler, die scheel uns beäugen, worauf Veilchenblau ihre Punkallüren auspackt und jene Fersengeld geben, was mir dann peinlich ist. Manchmal vergesse ich einfach, dass es ein Vorher gegeben hat, ein Vor-uns sozusagen.

Gugelmann Museum (Foto: AnnA)

Das Museum ist in einem unscheinbaren Gebäude untergebracht, und er, der Gugelmann, wohnt gegenüber. Kann sich scheint’s nicht von seinen Werken trennen, weshalb die eine Hälfte bei ihm zu Hause steht, die andere das Museum füllt. Hatte früher bei Bally gearbeitet, Abteilung Damenschuh, und nebenher zu Hause Kunst fabriziert. Apparate, welche man aufziehen kann, oder sonst wie angetrieben werden, Maschinen, die klingen, wozu sich allerlei Figürchen oder Figuren trickreich so oder anders bewegen.

Dann aber geraten Veilchenblaus Haare blöd in eine Winde, und werden partout nicht mehr ausgespult, weil Mechanismus halt bloss in eine Richtung funktioniert. „Wie im echten Leben“, hatte der Mann gerade noch philosophiert, doch die Sache mit der Frisur war ihm zum Glück entgangen. Dabei wird hier mal echt echtes Leben serviert, vor allem, wenn du Veilchenblau und ihre Methoden ein wenig kennst. Sie danach ordentlich kleinlaut, mummelt alle paar Minuten durch die Maske, dass sie eins rauchen will. Oder jede Führung mal ein Ende haben sollte.

Gugelmann-Museum (Foto: AnnA)

Freitag, 21. Juni 2019 / Veilchenblau

Türe geöffnet & sie direkt vor mir, Nase an Nase, da fehlt nicht viel, plus Sonne auf der Haut, die ich rieche, Sommer & Blumen. Ein kurzer oder langer Moment, wo gerade gar nix geschieht, Pausentaste, und ich partiell ionisiert, zu viel oder zu wenig da und dort, dass Nackenhaare sich aufstellen oder andersrum. Dann Küche, Stuhl, Tisch und ich, die Eistee anrührt & in Schränken krame, während sie mit Blicken wie Traktorstrahlen mich einfängt und mit dem Kompass spielt, der daliegt, noch immer. Sowie die Säcke von K mitten im Flur und das verschlossene Köfferchen mit Abziehbildern drauf, Kassetten drin, hat er gesagt, wer’s glaubt, und alles ein wenig Friedhof, weil nicht abgeholt. Gerade ich: Gänsehaut, und eine Biene, die nervös ins Zimmer schiesst, subito wendet und wieder verduftet. Dann Läuten an der Tür, schon wieder, diesmal der Pöstler, und ich, das Paket in den Händen, noch ein Weilchen auf dem Fussabtreter gestanden und Nachbarin betrachtet, wie sie Teppiche sauber klopft. Bei jedem Schlag spannt sie die Schultern und verträumtes Lächeln umspielt übertrieben geschminkte Lippen. Oben auf dem Treppenabsatz steht Veilchenblau, die mich mit Augen wie Kosmos schaut und ich bitte sie, zu bleiben, was auch immer das heissen mag. Dann nebeneinander auf dem Sofa & Geräusche, die durchs offene Fenster sich hineinstehlen wie Diebe aus Gummi, doch total OK, die Situation, Atem im Atem und Worte wie Comicsprechblasen, rote, blaue, grüne, die aufsteigen und an der getünchten Decke klebenbleiben.

N: Arbeit aus Ton 2014 (Foto: Anna)