Tagebuch XI / Mal wieder Schwarz

Mal wieder Schwarz? Klar.

Idylle (Meh Suff, Foto: AnnA)

Einchecken im Hilton Spreitenbach, was eigentlich keines ist, sondern bloss so draufsteht. Ein Name wie jeder andere. Jedenfalls: Aufs Bett geschmissen, zur Decke gestarrt, dann runter an die Bar, wo Löffel ins Bier sinniert und einer mit halblangen Sprüchen bedient. Draussen sitzen ein paar Schmierige, die aussehen wie Zuhälter oder Schieber – und es wahrscheinlich auch sind.

Du kriegst den grünen Stoff ums Handgelenk, heisst zertifiziert, und eines noch als Ticket dazu. Die erste Band verschwindet bereits im Backstage-Bereich und Leute holen sich Bier. Tom Fischer hat abgesagt heisst es, weshalb du auf Facebook Tickets zum Halbpreis kaufen kannst. Radieschen stellt einen Klappstuhl hin, worauf sich sitzen lässt. Dann spielt Bølzer und es ist wie gestern.

Manchmal mache ich kleine Spaziergänge zum nahen Wald. Lehne mich an einen Baum, denke, was der wohl denken mag und rauche Zigaretten. Die Sonne scheint abendlich schräg aufs Gelände und Rauch steigt auf.

Bølzer (Foto: AnnA)

Im riesigen Bett schläft‘s sich ordentlich. Auch wenn Platz für Zwei wäre. Morgenbuffet? Na ja. Wir hängen rum. Trinken. Tauschen aus. Lachen. Rauchen. Setzen uns nach draussen. Und bald schon ist Migräne Vergangenheit. Es stellt sich heraus: Radieschen mag ihren Stuhl nicht schleppen und ein geraumes Weilchen wird drum rum diskutiert. Am Ende aber geht er vergessen.

Der Krach heute ist erste Sahne, das muss man mal so stehen lassen. Mit Schammasch zum Beispiel liegst du eigentlich nie falsch und Stillbirth sind der helle Wahn. (Wenn auch nicht ganz jugendfrei.) Radieschen derweil hat sich irgendwie verzottelt. Und von Löffel siehst du ab und zu Silhouette, während die Jungs kommen und gehen.

Noch so Tagebücher

Tagebuch I handelt weit oben in den Bergen, Tagebuch II widmet sich dem Philosophischen und Tagebuch III will sich nicht festlegen. Während Tagebuch IV zutiefst Existentielles berührt, bleibt in Tagebuch V Raum für das Alltägliche. Derweil Tagebuch VII eher so die Kant-Schiene fährt. Tagebuch Acht? Schlangen, Kracht und noch ein Buch, dessen Autorin nicht genannt werden will. In Tagebuch IX hingegen spielen Nasensekrete eine wesentliche Rolle, was in Tagebuch X gänzlich ausgelassen wird.

Radieschen

Am Wochenende mit Radieschen in dieser wie-heisst-sie-noch-gleich-Bar, und Neuhufer, der hinter’m Tresen steht.

Schulthess Klinik (Foto: AnnA)
Schulthess (Foto: AnnA)

Sagt, dass er gerade mal aushilft, Corona und so, plus die Geschäfte schlecht laufen. Bloss weiss keine, was der so treibt und fragen treibt dich zum Wahnsinn. Kenn ihn von früher her, den Neuhufer, andre Stadt, andre Zeit, du weisst schon. Hatte dort im Staatsdienst gewirkt, sozusagen, dann war’s irgendwie dumm gelaufen: Für ihn wie den andern. Radieschen trägt ein Igorrr-Shirt und erzählt gerade, wie sie mit Löffel Eislaufen gewesen war. Oben beim Dolder, ca. 5 Minuten, dann Punch. „Und der Weihnachtsbaum?“, will ich wissen. „Welcher Weihnachtsbaum?“ „Na, der vom Dolder.“ Sie aber zuckt die Schultern. „Keine Ahnung.“ Neuhufer macht dann mal Pause, und setzt sich zu uns. Wie’s denn so laufe, erkundigt er sich, der selbst ungern Fragen beantwortet. Doch Radieschen malt Biermännchen auf dem Tisch und ich beobachte sie dabei. Aus den Boxen dröhnt Auðn und Neuhufer murmelt was von kalten Wintern.

Hölloch III

Dann haut unser Guide dem Mann eine runter, dass dem sein Lachen schlagartig vergeht, wortwörtlich, wobei auch das Stirnlämpchen den Geist aufgibt.

„Höhlenkoller kann schon mal vorkommen“, murmelt der Führer und nestelt in seiner Wachstasche nach einem Ersatzlicht. So sieht dann also Deeskalation aus, denke ich und bin mal gespannt, wie’s weitergeht. Aber nichts geht weiter, rein gar nichts, ausser, dass es von der Decke seicht. Decke? Ein ausgewachsener Berg. Endlich die Frau: „Jusqu‘ici tout va bien, jusqu‘ici tout va bien“, worauf ich mich beinah nass mache vor Lachen. Nicht, weil es die Geschichte von dem ist, der aus dem 40. Stock eines Hochhauses springt, sondern gerade andersrum.

Foto: AnnA

Mehr gibt‘s eigentlich nicht zu erzählen, kannst dir ja selbst was vorstellen. Die Frau haben wir bei uns auf die Rückbank gepackt, weil alles andere wär brutal gewesen und unterwegs halten wir an, um bei Salvi & Gino eine Pizza zu essen, was entspannt, oder sonst halt der Chianti. Nachts fahr ich ja nie, wegen der Augen, und Veilchenblau hält sich generell eher zurück mit Alkohol (was seine Gründe hat). Die Frau hingegen mag Grappa und am Ende stellt sich heraus, dass auch sie Radieschen kennt. Radieschen? Na, Radieschen und Löffel, die du meist an Konzerten triffst oder sonst, wo‘s laut wird. Wenn nicht gerade Corona, auch klar.

Samstag, 22. Februar 2020 / Löffel und Radieschen

Heute habe ich Radieschen und Löffel getroffen. Er so der Typ Rettungssanitäter, dem du dein Leben anvertraust, und sie seine Freundin.

Wir palavern von damals, Grabenhalle, Jonny Lopez, Ozon, und was danach geschah. Kinder? Sie wissen es nicht. Noch immer nicht. Radieschen trägt flache Schuhe, damit sie nicht riesig wirkt, und er denkt sich stets noch was nebenbei. Was du auf seinem Gesicht siehst, dass der sich noch was anderes denkt. „So ist das halt“, sagt sie, und er? Bestellt sich noch ein Bier.

Foto: Anna
Foto: Anna