Hölloch III

Dann haut unser Guide dem Mann eine runter, dass dem sein Lachen schlagartig vergeht, wortwörtlich, wobei auch das Stirnlämpchen den Geist aufgibt.

“Höhlenkoller kann schon mal vorkommen”, murmelt der Führer und nestelt in seiner Wachstasche nach einem Ersatzlicht. So sieht dann also Deeskalation aus, denke ich und bin mal gespannt, wie’s weitergeht. Aber nichts geht weiter, rein gar nichts, ausser, dass es von der Decke seicht. Decke? Ein ausgewachsener Berg. Endlich die Frau: „Jusqu‘ici tout va bien, jusqu‘ici tout va bien“, worauf ich mich beinah nass mache vor Lachen. Nicht, weil es die Geschichte von dem ist, der aus dem 40. Stock eines Hochhauses springt, sondern gerade andersrum.

Foto: AnnA

Mehr gibt‘s eigentlich nicht zu erzählen, kannst dir ja selbst was vorstellen. Die Frau haben wir bei uns auf die Rückbank gepackt, weil alles andere wär brutal gewesen und unterwegs halten wir an, um bei Salvi & Gino eine Pizza zu essen, was entspannt, oder sonst halt der Chianti. Nachts fahr ich ja nie, wegen der Augen, und Veilchenblau hält sich generell eher zurück mit Alkohol (was seine Gründe hat). Die Frau hingegen mag Grappa und am Ende stellt sich heraus, dass auch sie Radieschen kennt. Radieschen? Na, Radieschen und Löffel, die du meist an Konzerten triffst oder sonst, wo‘s laut wird. Wenn nicht gerade Corona, auch klar.

Hölloch II

Ich zuhinterst als Schlusslicht gesetzt, dann die beiden Turteltäubchen und Veilchenblau gleich nach dem dem Guide. An die Reihenfolge müsse man sich im Fall halten, sagt er zu uns, worauf sie die Augen verdreht, weil Polonaise weniger ihr Ding.

Ab sofort geht’s ums Überleben, sagt er, heisst wir und mehr als zweihundert Kilometer Höhle um uns. Jedenfalls wird‘s nach wenigen Schritten verdammt nochmal pechschwarz, was man sich auch bei ausgeknipster Nachttischlampe nicht annähernd vorstellen kann. Flink wie Gollum krabbelt der Guide übers nasskalte Gestein, während wir mehr froschartig hinterherhüpfen und -rutschen, durch Spalten und Gänge hinunter, weiter, weiter, immer weiter, dass ich mich dann schon mal frage, wie wir wieder nach Hause kommen. Weil eines ist klar: Eingang gleich Ausgang und vergiss das Hintertürchen, weil, gibt es nicht. Erst Reue und Sehnsucht nach Welt, egal wie trist die auch gewesen sein mochte, dann aber setzt Gewöhnung ein. Man ist ja auch bloss Mensch, und Menschen gewöhnen sich.

Unter Tags (Foto: Fredy)

Das Pärchen vor mir kriegt es hin, sich lautlos zu zoffen, was wie radiale Druckwellen durch die Finsternis presst. Veilchenblau hingegen ist total begeistert von der ganzen Plattentektonik und weint beinahe, als Gollum ihr erzählt, dass es sich bei der hölen Höhle um ein allmählich sterbendes System handle. Er, für den wir anderen schon gar nicht mehr existieren und ich mir überlege, wann der das letzte Mal durchgezählt hat. Sie aber geniesst die Zuwendung dermassen, dass mir speiübel wird. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den unterirdischen See, wo‘s dann nicht mehr weiter geht, nicht mehr tiefer hinunter, ausser eben, du tauchst.

Jusqu‘ici tout va bien“, flüstert der Mann, „Jusqu‘ici tout va bien“, und bricht spontan in schallendes Gelächter aus. Jetzt stell dir mal vor, du steckst in einem der grössten Höhlensysteme Europas, während einer Shining spielt. Ist da etwa ein Schild Ausgang? Nein. Oder: “Mr. Scottie, beam mich rauf?” Vergiss es, du weisst es genau. Veilchenblau tut, was Veilchenblau in solchen Situationen immer tut und steckt sich einen Glimmstängel zwischen die Lippen. Bietet auch der Frau einen an, die gierig danach greift. Ich hingegen summe lautlos eine Melodie von Agalloch, welche mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Die vielleicht sogar meine letzte sein wird, Himmelarsch.

Hölloch

So oder so heisst er, der Führer, weil’s einen braucht hier, wo Finsternis gähnt, und jede Menge noch dahinter schlummert. „Gott bleibt draussen“, brummelt er, „ab jetzt gibt’s bloss noch mich“.

Hölloch, beim Wärterhäuschen (Foto: Veilchenblau)

Im roten Overall schaut Veilchenblau aus wie Gina Gershon in Bound, bloss, dass sie dazu noch den schief sitzenden Helm mit Lämpchen trägt. Dann sind da noch zwei andere, sie und er, die daherkommen wie Paartherapie, heisst exaltiert vor sich auf der Hut gleich jede noch so kleine Geste total bedeutungsüberladen.

Ob in der Hölle geraucht werden darf, fragt Veilchenblau, der Guide aber merkt an, dass mit Hölle es gerade gar nichts zu tun habe, da höl nicht höll, sondern glitschig wie rutschig. „Ah!“, lässt Mann zum ersten Mal sich verlauten, während seine Begleiterin irgendwo ins Schwarze stiert, und davon gibt’s viel. Also doch Paartherapie, erstens, und zweitens kann‘s noch heiter werden.

Veilchenblau derweil zündet sich ‘ne Kippe an, und meint, dass man eben nie wisse, welche die letzte sei, was eben das Schöne und gleichzeitig Geheimnisvolle am Schloten. Worauf die Frau um eine bittet, weil so herum habe sie es noch nie betrachtet. Also brenn auch ich mir eine an, und sogar der Guide nestelt was selbst Gedrehtes aus der Tasche, während Mann sich umständlich auf den Boden hockt, und mit seiner Stirnlampe SOS spielt. Blink, Blink, Blink, und so weiter…

Die «Hullo»-Variante

Da kommt eine auf die Idee, sich künftig des «Hallo» zu verwehren, und stattdessen mit «Hullo» zu grüssen. Ordentlich brav, zugegeben. Doch mit gebührend Würde vorgetragen dennoch gelinde irritierend.

Mal innehalten (Foto: AnnA)
Mal innehalten (Foto: AnnA)

I. Die Bar

Bald der Keeper an der Bar: «Hullo, Hullo, was hätsch dennn gärn?» Und Rose, die davon den Schluckauf kriegt, von Karl schon gar nicht zu sprechen. «Hullo» allenthalben da und dort, was mehr als gelinde irritiert. Worauf ein Freischaffender des Sommerlochs wegen diesen Artikel verfasst mit Fotos besagter Bar sowie dem Keeper und das Ganze in die Zeitung bringt. Heisst Freibier für alle Zeiten, soviel ist klar, das war ihm auch versprochen worden.

II. Die Woge

«Hullo» mit einem Schlag total en vogue, und bereits nach wenigen Wochen über den grossen Teich geraten, wo die noch ganz anders spinnen, als unsrerseits, was jede weiss, da brauchst nicht dort gewesen zu sein. Jedenfalls der Präsi eines morgens im Halbschlaf «Hullo everybody!» in die Welt hinaus getwittert, worauf Scheisse sich gleichmässig mindestens über alle Staaten verteilt. «When the Hu hits the Fan!» wird zum Sommerhit und man werde wohl noch mit dem Handy spielen dürfen, um ordentlich wach zu werden, beschwert der mächtigste Ami sich per Videobotschaft. Sowieso, technisch gesehen sei die Zeitspanne des Aufwachens Privatsphäre und wenn jede ihre Nase permanent in anderer Angelegenheiten stecken täte, ja was dann?

III. Das Politische

Abends in der Tagesschau referiert eine sichtlich gestresste Auslandkorrespondentin von Spaltung der Gesellschaft, welche quer durch Parteien, Gender, Einkommensklassen, Hautfarbe und wasweisssie sich ziehe. Während Molotows ihr bloss so um die Birne pfeifen. Nach bedrohlichem Wackeln des Fernsehbildes unterbricht die Verbindung nach Washington, stattdessen wird der Wettermann auf dem Dach eines Hochhauses in Zürich eingeblendet: «Hullo everybody!» Noch dazu herrlichstes Wetter, so weit das Auge reicht, dass ein anderer spontan beschliesst, von Osten her Panzer rollen zu lassen, um dem Schnickschnack wenigstens eurasisch gesehen den Garaus zu machen. Oder einfach mal ein bisschen rollen lassen à la Autokratenporno, was Weltgemeinde sowohl schärfstens verurteilt wie auch müde toleriert.

Der Hirte

Der Papst sieht widerwillig sich genötigt, Abtreibung aus dem Repertoire zu kippen und dafür mal Nächstenliebe zu predigen, währenddessen seine Herde «Bungiorno, Bungiorno» skandiert. Dabei versteht der Mann bloss dürftig Italienisch und verlässt würdig den blöden Balkon. Da er jedoch vergisst, das Mikro auszuknipsen, wird aus dem Off weiter peinlichst übertragen, was die Gemüter nach und nach erwärmt. Als Putzequipe sich nach Sonnenuntergang aus den Löchern traut, liegen hingeworfener Christenkreuze traurig auf dem Petersplatz, was von Weitem aussieht wie terminierte Insekteninvasion.

Die Gesellschaft

Derweil Aktivisten in Berlin sich daran machen, jene berühmte Mauer wieder hochzuziehen, was sich als schwieriger herausstellt, als gedacht. Vor allem des Wetters wegen, behaupten sie, das wunderbarer nicht hätte sein sollen. Dennoch tragen viele Kurzarmshirts, wo «Hullo, ich bin ein Mensch» draufsteht, und rackern redlich sich ab. Fast unbemerkt dreht übrigens das Panzerschwadron aus dem Osten verschämt wieder ab, um erst mal bei sich zu Hause aufzuräumen. Wo genau dieses sich befinde, werde noch bekanntgegeben und auf «Pruvet!» steht seit neustem übrigens Gulag.

Fazit

Kleine Notiz am Rande: In Ägypten sei mehr als ein Kamel trotz gutem Leumund brutal gesteinigt worden, weil das Tier «Muh» gemacht habe. Ägypten, stell dir das mal vor, wo Muhmien meterhoch sich stapeln, doch lustig ist anders, sowieso klar.

Im weltweiten Chaos geht wieder das eine vergessen, klar, das private Elend zum Beispiel. Die Not des Kleinen. Einzelnen. Und Moral mal in echt: Dass selbst der bravste Widerstand dem Individuum letztlich NIE zugutekommt.

Die exemplarisch Widerständige übrigens, so ganz nebenbei, grüsst heutzutage konsequent mit «Guten Tag», und ärgert sich nicht schlecht, wenn andere sie duzen oder sonst wie respektlos ihr begegnen. Dass sie die gewesen war, die «Hullo» erfunden hatte, glaubt ihr eh kein Schwein.

Harmonie

Auf die Frage, wie‘s mir geht, antworte ich…

Amsterdam, NDSM Werft (Foto: AnnA)

Oder:

Harmonisch, total harmonisch, wie alles sich fügt, Signale von aussen perfekt Selbstbild matchen, Leben mir gerade vorkommt wie warmes, nach Rosen duftendes Bad bei Kerzenschein. Welt liegt mir zu Füssen, was ich auch fasse, fast unmittelbar zu glänzen beginnt, dass zeitweise ich die Augen vor lauter Leuchten verschliesse.

Optimal in mich geschmiegt, das bin ich, nichts, was zu viel oder gar zu wenig wäre. Und wenn du mir dann gleich noch aus der Sonne trittst, kann es gerade auch so bleiben.

Ich sag auch recht nett Bittebittebitteschön.