Rauchfahnen

Rauchfahnen hängen schief von Dächern schmucker Kleinfamilienhäuser. Worin Erziehungsberechtigte widerwillig Corona feiern und Kinder sich erleichtert auf den Weg zur Schule machen.

Foto: AnnA

Mit dem Schliessen der Türe verzieht Mutters Gesicht sich zum bildschirmblauen Superschrei, während dem Vater sein Schatten geistreich beige Wände bestreicht. Schmerzhafte Stille, sinniert dieser und imaginiert, was wäre WENN, aber Scheiss auf WENN, scheiss auf den Konjunktiv.

Scheiss drauf, denkt Mutter gleichsam, weil Himmel im Fenster abgestanden nach Apokalypse riecht derweil Sonne aus Pappmaché kaum mehr als hehre Pflicht erfüllt. Am Bildschirm nicken flackernd aufgepfählte Menschenschädel, als ob noch Leben drinnen steckte, aber denkste, sie sind tot.

Ihn derweil juckt‘s wie blöd an den Testikeln. Bloss gut, dass er Pyjama trägt, eins mit blauen Streifen, worin sich‘s leichter kratzen lässt. Worauf sie den Küchentisch besteigt, den Proletentanz übt und dazu die Internationale singt:

Debout! Les damnés de la terre!
Debout! Les damnés de la terre!
Debout! Les damnés de la terre!

Debout! Les damnés de la terre,

stimmt Vaters Tenor mit ein, denn singen kann er, Singen ward ihm in die Wiege gelegt und Singen macht frei. Plötzlich dünkt ihn alles wie früher, alles wie nicht gewesen, doch nichts ist nicht gewesen, nichts wird aus wieder nicht nichts, aber egal, sagt er sich, man wird ja wohl noch atmen dürfen!

Und Mutter?

Streifen, denkt sie völlig losgelöst,
Streifen geht ja überhaupt gar nicht.


Die Kunst

Orch-Idee (Foto: AnnA)

Versuchs mal so:

„Kerstin hängt Wäsche an die Leine, dass Vermeer n’en Heulkrampf kriegte, Neuhufer haut dir Brautigan 2021 in bestem Dialekt um die Ohren und Nachbars Hund scheisst sich Basquiat-like durch die Gegend.“

Sozusagen, aber eben:

„Ist nicht dasselbe.“


Sardellenblues

Manchmal übermannt mich ganz ehrlich die Nachdenklichkeit wie gestern zum Beispiel beim Pizzasardellenkauf.

Foto: AnnA

15 kleine Dinger in Glas verpackt, die lustig sich kringeln, wenn du daran schüttelst. „Ein wenig wie Meer“, denke ich sehnsüchtig und studiere das Preisschild doppelt, weil mich die Zahl etwas übertrieben dünkt. Kommt quasi auf den Franken das Tier, dabei ist es ja bloss Pizza und dazu vielleicht noch ein Film von Caro. Andererseits, für ein Leben scheint es mir eher knapp bemessen und wenn du den Mehrwert noch subtrahierst, wird dir gleich kotzübel. Was mich – zugegeben – emotional hernimmt, wie ich so im Laden stehe und auch gar nicht mehr richtig schütteln mag.


Tagebuch II

Von Lücken, Kontinuen und Wetterlagen. Philosophisches von Löffel. Plus Impressionen aus dem Alltag einer Proletarierin.

Foto: AnnA

Samstag, 20. Februar 2021

„Die Marktlücke wird immer grösser bis wir alle da hinein passen“ (Löffel 2021).

Sonntag, 21. Februar 2021

„Frage mich, weshalb Zeit im Kleinen lümmelt und im Grossen gerade umgekehrt“ (ebd.).

Montag, 22. Februar 2021

Sonne scheint & gestern ebenso.

Dienstag, 23. Februar 2021

Eine Tasche auf dem Weg zur Arbeit und ich daneben.

Mittwoch, 24. Februar 2021

Veilchenblau sitzt am Küchentisch und liest Journale.
Auf einem T-Shirt steht: „Ich bin auch ein CAS.“
Das Harvard Prinzip: Dreiecke malen.
Vor Italien schwimmen 200 Särge im Meer.
Und zuletzt: A Boat von Brautigan.


Tagebuch I

Schnee (Foto: AnnA)
Schnee (Foto: AnnA)

Freitag, 12. Februar 2021

Gestern im Zug ein Buch gelesen, was mir gefiel und mich lächeln machte. Würde die Schreiberin gerne kennenlernen, fragen, woran jene gelebt hat zum Beispiel oder geatmet, doch ist sie tot gewissermassen durch die Zeit.

Samstag, 13. Februar 2021

Morgens der kalte Ofen und im Weiss die freche Spur eines Hasen. Am Himmel derweil läuft Farbe aus und ergiesst sich über schneebedeckte Kronen. Erst Blau, dann Tutu-Rosa, dann Tag. Die Wellen übrigens habe ich zu zählen vergessen, ob es aber statthaft ist, weiss ich nicht. Dummheit im Übrigen sei eine grosse Gnade, wiewohl richtig dumm höchste Kunst.

Sonntag, 14. Februar 2021

Man hat’s nicht leicht mit dem Leben, weil bei aller Betroffenheit das meiste noch dazu selbst gedacht werden muss. Veilchenblau ist da anders, kauft sich einen Haufen Zigaretten unten beim Kiosk, plus Schnapspralinen und sagt, dass Rucksäcke dazu da sind, leergefressen zu werden. Woran ich Zweifel hege.

Montag, 15. Februar 2021

Biden macht vorwärts heisst es, was du in den Zeitungen lesen kannst. Isst lieber Bürger Burger als Chinesisch wegen der Arbeitsplätze. Elektro-Elektro und Herz springt, doch wenn Lügner Lügen lügen, wird es dann wahr?

Dort draussen

Da ist nicht viel dort draussen, eher weniger.

Eine Decke aus Schnee, darüber Nacht, worin Lichter starren.

Und sie, die Rauch in den Himmel bläst und an sich herunter blickt.


Monopoly

K sei ausgewandert, heisst es, was ich mir kaum vorstellen kann und Radieschen plappert, dass sie sich ernsthaft auf ein Leben ohne Trump vorbereite. Dann kauft sie Zürich Paradeplatz und Löffel zählt vorsichtshalber mal Scheine.

Züri (Foto: AnnA)

„Kann mir nicht vorstellen, dass K ausgewandert sein soll“, wende ich ein, worauf Radieschen mich mit ihrem Du bist ja hier nicht etwa die Expertin-Blick bedient. Babs (die aus dem Hölloch) fummelt an ihrem Handy rum, und fragt, was K denn für einer sei. „K wie Karl“, antwortet Löffel schliesslich und blickt Rieeeeesenbögen (um mich rum). Wobei ich sowieso grad Knastpause feier, also auch egal.

„Versuchs doch mal mit Erdogan“, rät Veilchenblau Radieschen, die gerade schmucke Häuser in eine nette Reihe bringt. Derweil Babs einmal mehr über den Rand hinaus würfelt. „Vielleicht sollte ich diesen Karl mal kennenlernen?“, fragt sie von unter dem Tisch, worauf Löffel lacht. Jede weiss, dass es zwischen den beiden nicht lange gut gegangen war. Fragestellung: Was wäre, wenn Lennon noch lebte, doch wissen wir es bis heute nicht. Und wird auch nimmer. K war mal Mitbewohner gewesen, dann aber habe ich Veilchenblau kennengelernt und mich noch dazu. Ende der Geschichte.

Babs heimst gerade ein Vermögen ein und ich frage mich, ob sie dem Glück nicht ein wenig zu sehr auf die Sprünge hilft. Auch Veilchenblau verdreht vielsagend die Augen, was jedoch nicht zählt, weil sie wie immer bloss zuschaut. Kann nicht verlieren, weswegen sie einfach mal behauptet, dass Kapitalistenspiele Scheisse sind. Um zu Explizieren, knallt sie dann zum Beispiel irgendwelche Minor Threat-Scheiben auf den Plattenteller.

„Der ist ja eben ausgewandert“, wiederholt Löffel, den im Übrigen die Schuldenlast drückt. (Obwohl Radieschen ihm ab und zu was zusteckt.) Nimmt mich persönlich wunder, wo er diese Emigrantengeschichte herhat, weil K ja nicht etwa der abenteuerliche Typ. Wahrscheinlich aber weiss er’s von Neuhufer, dem Schnüffler.

Als dann sogar Babs die blaue Rechnung nicht mehr bezahlen kann, ist fertig lustig. Ich verdufte schleunigst aufs Klo, wo dieses Hirschposter von Agalloch hängt und höre durch die verschlossene Türe, wie I am von Bölzer anklingt. Auch gut.


Namen

Irgendwann im Museum Rietberg (Foto und Nachbearbeitung: AnnA)

Wie die auch heissen oder genannt werden wollen, denn auf Namen gebe ich nicht viel. Jeden Tag einen neuen oder öfter sogar, das würd mir gefallen. Einfach mal Amundsen zum Beispiel, Winnetou oder Mary Poppins. Wäre wenigstens mal ein Anfang.

Exit

Friedhof Sihlfeld (Foto: AnnA)

Immer mal wieder.
Stellen wir die Uhr.
Und retten die Welt.

Manchmal.

Weil gelegentlich
das Böse siegt.
Oder siegen muss.

Und wir verlieren.

Zu wenig weit genug gedacht.
Heisst es dann.
Weil Zwölf ist Zwölf.

Ekliptik

Foto: AnnA

Tage werden länger und Schuld daran trägt (wie an so vielem übrigens) die Ekliptik.

Dreiundzwanzigkommairgendwas, Winter, Sommer, Winter, Sommer, je nachdem, ob du oben oder unten stehst.

montag

Bild: Romina Nikolić (Merci!!!)

montagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontagmontag

Bienen

S12, weil’s anders nicht ging plus Summen im Kopf, das immer grösser wird. Ein Bienenschwarm, der alsbald ausser mich gerät, zudem Stettbach, wo die andere noch zusteigt.

Graffiti in der Innenstadt (Foto: AnnA)

Nettes Kleidchen, nette Schuhe, nette Frisur, sogar ihr Lächeln ist nett, den Kopf jedoch trägt sie voller Insekten, genauso wie ich. Welche nun ihre oder meine sind, frag ich mich, ob Aussortieren überhaupt noch gelingen mag? Weil, dass die den rechten Kopf finden, kannst du eigentlich vergessen.

Während wir uns schweigend in die Augen blinzeln, heisst es „Stadelhofen“ und Zug beginnt zu bremsen. Was, wenn sie mich verliesse, mir die Bienen stähle, oder ihre vergässe? Und ich für den Rest meiner Lebenszeit mit Summen geschlagen, welches mir nicht gehört, sondern einer anderen, die bloss zu- und wieder abgestiegen war?

Was dann?

Worauf ich sie an den Händen greife und nicht losslass, so sehr sie sich auch wehrt. Hand in Hand, Front an Front, was schön sein kann, prickelnd, es aber ganz und gar nicht ist.

Und Ende der Geschichte? Hab bis heute festgehalten, denn zusammen sind wir Eins und bleiben Eins, das kannst du so oder so sehen.

Schnee

Erst Morgenessen. Dann Piste. Weiss in Weiss. Und ein paar Pfähle. Um uns den Weg zu weisen.

Foto: Veilchenblau

Am Skilift dann einer, der meint, ich soll mir die Maske hochziehen und Veilchenblau, die dem Frieden zuliebe gerade noch die Klappe hält.

Kein Alkohol am Take-Away wegen der Verletzungsgefahr oder dass man sonst wie überschwänglich gerät.

Proxima Fermada

Foto: AnnA

Durch die Fenster des Zugs werden Bletzen geworfen und wie Leintücher über den Schnee geschliffen. Veilchenblau liest oder schläft, sonst befindet sich keine Seele im Abteil. Es ist leer. Die Reise will kein Ende nehmen. Und immer wieder:

Proxima Fermada,

Proxima Fermada.

Der verlorene Gedanke

Highgate Cemetery, London (Foto: AnnA)
Manchmal ein Gedanke,
den eine schnappt,
bevor du selbst
ihn zu fassen kriegst.

Das wäre dann ein verlorener Gedanke, einer, der dir ein Leben lang fehlt. Diese kleinen Löcher in dir, dass du manchmal glaubst, du bist Emmentaler. Weder zu fassen noch füllen, weil bereits weggedacht. Von deiner besten Freundin am Ende oder einem Arsch wie Trump. Könnte sein. In echt.

Radieschen

Am Wochenende mit Radieschen in dieser wie-heisst-sie-noch-gleich-Bar, und Neuhufer, der hinter’m Tresen steht.

Schulthess Klinik (Foto: AnnA)
Schulthess (Foto: AnnA)

Sagt, dass er gerade mal aushilft, Corona und so, plus die Geschäfte schlecht laufen. Bloss weiss keine, was der so treibt und fragen treibt dich zum Wahnsinn. Kenn ihn von früher her, den Neuhufer, andre Stadt, andre Zeit, du weisst schon. Hatte dort im Staatsdienst gewirkt, sozusagen, dann war’s irgendwie dumm gelaufen: Für ihn wie den andern. Radieschen trägt ein Igorrr-Shirt und erzählt gerade, wie sie mit Löffel Eislaufen gewesen war. Oben beim Dolder, ca. 5 Minuten, dann Punch. “Und der Weihnachtsbaum?”, will ich wissen. “Welcher Weihnachtsbaum?” “Na, der vom Dolder.” Sie aber zuckt die Schultern. “Keine Ahnung.” Neuhufer macht dann mal Pause, und setzt sich zu uns. Wie’s denn so laufe, erkundigt er sich, der selbst ungern Fragen beantwortet. Doch Radieschen malt Biermännchen auf dem Tisch und ich beobachte sie dabei. Aus den Boxen dröhnt Auðn und Neuhufer murmelt was von kalten Wintern.

Screen II

Screen (Foto: AnnA)

Dann bin ich hineingestiegen in den Screen, einfach so, weil es mich eine gute Idee dünkte, und es hat nicht mal weh getan. Im Gegenteil. Erst Kribbeln, dann Wohlgefühl pur, wie etwa danach, du weisst schon wonach.

Dort hinter dem Screen ist vor dem Screen, stelle ich fest, weil ich dich erblicke, die zu mir hineinglotzt, Kaffeetasse in der einen Hand, Zigarette in der anderen. Bloss hören tu ich nichts, sehe lediglich Lippen sich bewegen und Augen rollen, wie du sie immer rollst, wenn du was nicht verstehst.

Breakout

Dies ist die Geschichte jener, die ins Breakout versandt und niemals wieder gesehen worden war.

Foto: AnnA

Zoom, du kennst es, zwischendrin dann die Breakout Session, nachdem der Admin von Cockpit-Kompetenzen geschwärmt hat und sich selbst dabei fleissig vögelt. Sie dann alleine mit dem Spiegelbild, obwohl Spiegel anders geht, Spiegel dir redlich in die Augen schaut, geradeheraus und nicht verschämt die Lider senkt wie eben gerade jetzt. Nach einer Weile wird klar, dass keine sich hinzu gesellt und Session so rum nicht funktioniert, deshalb den Button geklickt, Raum verlassen, aber subito, doch will‘s nicht, auch wenn sie noch so auf die Maus aus Plastik haut.

Völlig verlassen à la Robinson auf der Robinsoninsel wartet sie auf bessere Zeiten und gibt dann irgendwann mal auf. Klick, Klack, nestelt sie am Schalter ihrer Schreibtischlampe, kann den Blick vom verpixelten Selbst nicht wenden, bleibt verhangen, gefangen, verklebt mit sich & sich & nochmal sich. So halt zurückgelehnt ins kühle Off, quasientspannt, obwohl offer als Off nicht geht, und sie sich fragt, ob da wer schaut, beobachtet, observiert, studiert, gar am Ende sie selbst sich aus einer völlig andern Dimension beäugt, was es ja geben soll: Paralleluniversen.

Eine, die hätte sein können, wollen, sollen, vielleicht gewesen wäre, wer weiss. Bloss aus sein werden oder geworden sein wird nix, IST nix oder aber SPACE mit rieeeesenachwarzem Auge: S-P-A-C-E, weil eben alles Schreckliche Stars & Stripes und jetzt frag dich nicht warum, denn die Antwort heisst Zweiundvierzig.

Mutterseelenallein im Universum und wie viele es davon gebe, fragt eine, oder gibt, die andere, welche ebenso sie sein könnte, wie nicht sie. Wieviel wovon wenn Hans wie Heiri oder Robinson freitags verpennt, gleich um die Ecke übrigens, an welcher viermal gerundet eine erneut am selben Ort sich wieder trifft. Sechs mal Sieben gleich Zweiundvierzig gleich Zwei mal Drei mal Sieben und da hast du den ggT und das kgV noch gratis mit dazu.

Breakout, was von der Zunge tropft wie Anke vom Toast, aber wohinein gebrochen, das vergiss mal nicht. WO hinein, oder auch wo HINEIN, je nachdem, und sie, die versandt und vergessen worden war. Vielleicht aber begegnest du ihr und grüss dann schön artig, weil du selbst es sein könntest, du selbst es bist, weil anders ganz einfach nicht geht.